Sie trug das goldene Kreuz immer um den
Hals, Tag und Nacht, seit sie es zu ihrer ersten Kommunion geschenkt
bekommen hatte. Und sie trug es mit Stolz, denn sie glaubte und es
war alles, was sie in ihrem Leben tun wollte. Sie wollte dem Herrn
dienen und das würde sie, indem sie andere von seiner
Barmherzigkeit, seiner Liebe und vor allem seiner Existenz
überzeugte.
Denn sie wusste genau, dass er
existierte, er stellte es jeden Tag aufs Neue unter Beweis.
Nicht, dass er je zu ihr gesprochen
hatte, nein, das tat er nie, doch sie sah seine Gegenwart in all den
kleinen schönen Dingen in dieser Welt.
Sie sah es in dem Löwenzahn, der sich
durch ein Loch der asphaltierten Straße gezwängt hatte und nun
allein dort stand und blühte und der grauen Welt Leben einhauchte.
Sie sah es in den Wolken, die über den
klaren blauen Himmel zogen und immer wieder ihre Form und Farbe
veränderten.
Sie sah es in den Bäumen, die jedes
Jahr aufs Neue aufblühten und der steinernen Welt trotzten, die die
Menschen geschaffen hatten.
Sie sah es in dem Schmetterling, der um
sie herumflatterte, als sie sich auf das flache Dach ihres Hauses
setzte, um die Wolken zu beobachten.
Sie sah es in den Sternen, die zwar
durch die Lichter der Stadt kaum zu sehen waren, aber doch mutig
weiter leuchteten.
Sie sah es in dem kleinen Kind, das
fröhlich in jede Pfütze auf seinem Weg zur Schule hinein hüpfte
und all die gehetzten Leute um es herum nassspritzte.
Sie sah es in dem alten Ehepaar von
Gegenüber, das inzwischen 61 Jahre verheiratet war und noch immer
brachte der Mann seiner Frau täglich Blumen.
Sie sah es, wenn sie in der Badewanne
saß und beobachtete, wie der Schaum Schatten auf den Boden der
Wanne warf, die sich bewegten und einen wunderschönen Tanz
aufführten.
Sie sah es in der Begeisterung, mit der
die Menschen in Büchern und CDs stöberten.
Sie sah es in den Umarmungen, die
Freunde, Familie und Liebende austauschten.
Sie sah es im Handschlag von Menschen,
die sich auf etwas geeinigt hatten.
Sie sah es in dem Lächeln der
Menschen, das ab und zu aufblitzte, wenn sie etwas sahen oder an
etwas dachten, das ihnen gefiel.
Sie hörte es in dem Lachen, das doch
noch häufig von irgendwoher erklang.
Sie hörte es in jedem einzelnen Lied,
jedem einzelnen Ton.
Sie hörte es in dem Wind, der um die
Häuser strich und sah es darin, wie er die Blätter der wenigen
Bäume dieser Stadt herumwirbelte.
Sie hörte es in der Dankbarkeit in der
Stimme eines Obdachlosen, wenn sie ihm etwas Geld zusteckte oder
etwas zu essen und trinken gab.
Sie hörte es in der Freude der
Menschen, die sie auf der Straße zurückgrüßten.
Sie spürte es in der Sanftheit mit der
ihre Eltern sie behandelten.
Sie spürte es in der Kirche, wenn der
Pastor den Leib Christi überreichte.
Sie spürte es, wenn sie betete. Da war
jemand, der sie hörte und ihre Gebete aufnahm. Und dieser Jemand
war Gott, wer sollte es auch sonst sein?
Und wegen all dieser Dinge wusste sie
ganz genau, dass er existierte und am Ende das Gute über das Böse
siegen würde, wenn nur jeder dafür kämpfte. Sie tat es jedenfalls.
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