Zu zweit saßen sie auf dem Boden der
Scheune und unterhielten sich. Es roch nach Stroh und Tieren, für
sie ein angenehmer Geruch.
In einer Hand hielt das junge Mädchen
eine Feder und zeigte sie dem Jungen neben sich. Er sah sie verwirrt
an.
„Manchmal, wenn ich Dinge sehe,
stelle ich mir vor, was sie alles schon gesehen und erlebt haben“,
erklärte es ihm mit leiser, sanfter Stimme.
Verstehen blitzte in seinen Augen auf.
„Also siehst du die Feder und erfindest ihre Lebensgeschichte?“
Sie nickte lächelnd. „So ungefähr.“
Er griff nach der anderen Hand des
Mädchens und strich darüber, sah ihr lange in die Augen. Es fühlte
sich an, als würde er sie wirklich verstehen. „Und was hat diese
Feder bisher so erlebt?“
Ihr Herz raste und ihre blauen Augen
wandten sich wieder der Feder zu. Lange betrachtete sie sie. „Sie
weiß, was Freiheit ist. Sie hat zu einer Taube gehört, die
eigentlich im Besitz von einem alten Mann war, der seine Tauben nur
zur Schau hatte und dem sie eigentlich völlig egal waren. Und dann
hat sie gemeinsam mit ein paar anderen Tauben beschlossen zu fliehen.
Sie sind, als der alte Mann sie endlich mal wieder hat fliegen
lassen, aus dem Schwarm heraus und einfach losgeflogen, so lange, bis
sie nicht mehr konnten und eine Pause machen mussten.“
Er beobachtete das Mädchen beim
Sprechen, sie wirkte nachdenklich und dieser Gesichtsausdruck gefiel
ihm. Er zeigte ihm nur noch mehr, dass sie etwas Besonderes war. „Und
was passiert dann?“
Überrascht sah sie ihn an, als hätte
sie völlig vergessen, dass er da war. „Äh...“
Er wartete geduldig, sein Blick war
sanft und liebevoll und das irritierte sie nur noch mehr. So hatte
sie noch nie jemand angesehen, erst recht nicht, wenn sie anfing zu
erzählen. Sie wurde eher ausgelacht als bewundert. Aber er war
anders, er nahm sie ernst und schien nicht abgeneigt zu sein bei
solchen Spielen mitzumachen. „Willst du weitererzählen?“, fragte
sie ihn deshalb.
Er nahm die Feder entgegen und dachte
nach. Seine Augen waren von einem sanften braun, seine Haare
ebenfalls, ihr gefiel sein Aussehen, aber noch mehr der Charakter,
den er ihr bisher gezeigt hatte.
„Die Tauben sind den ganzen Tag
geflogen und jetzt, als sie Pause machen, ist es bereits dunkel. Sie
fragen sich, ob der Mann nach ihnen suchen wird, oder ob es ihm egal
ist. Eine von ihnen weist auf die Ringe um ihre Füße hin, die
zeigen, zu wem sie gehören und sagt, dass sie diese loswerden
müssen. Beinahe gleichzeitig fangen sie alle an, darauf
herumzupicken, bis die Ringe endlich ab sind.“
Er macht eine Pause und schaut sie an.
Sie lächelt und übernimmt die Feder wieder. „Nachdem sie dies
geschafft haben, rücken sie eng zusammen und schlafen ein wenig. Am
nächsten Morgen fliegen sie weiter, doch wohin, das bekommt diese
Feder nicht mehr mit, da sie abgefallen ist und liegen bleibt. Doch
nicht lange, denn bald kommt ein kleines Mädchen und nimmt sie mit,
um sie in einen Kopfschmuck zu stecken, mit dem sie und ihre beste
Freundin Indianer spielen. Dabei laufen sie in diese Scheune und
irgendwie fällt die Feder heraus und bleibt liegen.“
Er grinst. „Die arme Feder, immer
wird sie einfach verlassen und liegen gelassen.“
Sie muss lachen. „Ja, aber heute
haben zwei Jugendliche sie gefunden und dichten ihr irgendwelche
Geschichten an, die alle stimmen oder auch nicht stimmen können. Man
wird es nie erfahren, denn das weiß nur die Feder selbst.“
Der Junge nimmt dem Mädchen die Feder
ab und steckt sie ihm hinter das Ohr. „Jetzt bist du auch eine
Indianerin.“
Sie lächelt und beißt sich leicht auf
die Lippe, hofft, dass er sie nun endlich küsst. „Und, bist du
mein Indianermann?“
Er lacht. „Genau das bin ich.“
Dann küsst er sie sanft. „Aber ich
brauche auch eine Feder, also lass uns suchen gehen.“
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